Die Nürnberger Rostbratwurst – kleine Kaiserin (reg. seit 1313) der Bratwürste
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Alles Schweinelenden-Brät soll man in die Würste hacken – so bestimmte es der Nürnberger Rat in einer ca. 1313 ergangenen Satzung. Mit Fug kann darin die Geburtsanzeige der Nürnberger Rostbratwurst gesehen werden. Zwar lässt sich die Kunst, prallgefüllte Därme auf glühenden Holzkohlen zu rösten, schon bei Homer belegen, aber deren Inhalt (Fett und Blut) war eher der Schlachtabfall als das beste, von den Alten als Brät bezeichnete Fleisch, beim Schwein damals vor allem die Lende. Sinn und Zweck dieser kopernikanischen Wende von der Bratwurst zur Brätwurst war die Ernährungsfürsorge des Rates: die Brätwürste waren für den Rauchfang bestimmt (dies im bäuerlichen Kreis noch im 20. Jahrhundert!) und sorgten für vorzügliche Fleischbeilage in Jahreszeiten ohne Schlachtungen.
Indes öffnete das Nürnberger Jahr 1313 auch den Weg der frischen Brät- zur gebratenen Wurst als gastronomischer Köstlichkeit. Damals ist im Friedhof um die Sebalduskirche die Moritzkapelle errichtet worden. Bald darauf schon ging die Rede von den Köchen bei St. Sebald, die mit dem blauen Glöcklein zur frischgebruzzelten Wurstspeisung riefen und dazu später einen winzigen Anbau an die Kapelle lehnen durften. Unter den Wirtshäusern Deutschlands wird neben Auerbachs Keller in Leipzig keines so bekannt sein. An seiner kulinarischen Gabe erquickten sich Albrecht Dürer, Hans Sachs und alle Sterne, die je am Himmel Nürnbergs prangten. Auch wenn das alte Bratwurstglöcklein die Kriegszerstörung von 1944 nicht überlebt hat: die einem Prospekt von 1904 entnommene innige Verbindung zwischen Wörschdla und Nürnberg-Romantik lebt in den heutigen Bratwurstküchen (allen voran das Bratwursthäusle, das Herzle und der Gulden Stern) unverkürzt fort – auch in bezug auf die berühmte Speisekarte mit auf offenem Buchenholzfeuer Gebratenen 6, 8, 10 oder 12 Stück auf Kraut, Kartoffelsalat oder Meerrettich.
Auch sonst wirkte der genius loci kräftig ein. Bereits die Satzung von 1313 bestimmte einen Fleischbeschauer, der die Dienstbezeichnung „Würstlein“ führte: die Wurstherstellung, von jeher Wechselbalg der Metzgerei ist wegen des Nürnberger „Reinheitsgebotes“ bis heute strengsten Bestimmungen unterworfen. Auch Gewicht, Dicke und Länge werden ständig kontrolliert, wovon nicht nur ein den Grabstein einer 1554 verstorbenen „Köchin von St.Lorenz“ zierendes Wurstmass auf dem Rochusfriedhof beredtes Zeugnis ablegt, sondern auch die aktuelle Längenmessgabel, die der Bratwurstschutzverbandsvorsitzende sozusagen als Amtszeichen gebraucht. Und wie oft ist bei der täglichen Bratwurstschau auf den Fleischbänken minderwertige Arbeit konfisziert und in die Pegnitz geworfen, der Wiederholungstäter aber an den Pranger gestellt worden!
Nachdem die vom Rat geförderte Schweinehaltung der städtischen Müller und Bäcker den ständig steigenden Bedarf nach Menge und das Umland nach Güte nicht mehr decken konnte, wurden bereits im Mittelalter über Böhmen Schweine aus den Haupterzeugungsgebieten Ungarn und Kleinpolen eingeführt. Über all das wachte das Bratwurstministerium der Reichsstadt, die deputierten Herren… zu den Metzgern und den Fleischbänken.
Am Ende des Hl. Röm. Reiches ist die alte Kaiserstadt unangefochten Hauptstadt ihrer Majestät – der deutschen Bratwurst geworden. Auch die heute allseits so beliebte Verwendung zu sommerlichen Grillfesten ist in Nürnberg wohl bereits seit der Barockzeit heimisch. Der Versandhandel blühte: kaum einer der Geistesheroen mochte auf die wundersamen Leckereien verzichten. Goethe bestellte sie per Eilpost nach Weimar davon sogleich ein Theil zum Nachtisch aufgebraten wurde, und Jean Paul bedankte sich herzinnig mit die Würste sind meinem Magen schöne Vergissmeinnicht von Nürnberg.
Freilich handelte es sich hier um Geräucherte und selbst bei diesen sollte die Versendung nicht im heißen Sommer erfolgen: Du darfst die Würstl nur bei kaltem Wetter senden (A. Stifter). Es mussten noch mehr als hundert Jahre vergehen, bis die Entwicklung moderner Konservierungstechnik die globale Vermarktung der echten Nürnberger möglich machten. Seither sind in Nürnberg vier Bratwurstfabriken entstanden, deren überwiegend vakuumverpackte Produkte im deutschen Lebensmittelhandel überall präsent und darüber hinaus (fast) weltweit verbreitet sind. Zusammen mit den handwerklichen Herstellern in den Nürnberger Metzgereien, den Bratwurstküchen und der Stadt selbst sind die Säulen aufgezeigt, auf denen der 1998 gegründete Schutzverband Nürnberger Bratwürste ruht, der 2003 die Verleihung der Rechte einer EU-geschützten Herkunftsspezialität erreichte.
Und zwar als erste – und auch als einzige Bratwurst der Welt, wenn man darunter die hergebrachte Brätwurst versteht. Denn im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde im übrigen Deutschland die gewolfte („grobe“) durch die gekutterte („feine“) Bratwurst ersetzt. Das Nürnberger Gebot von 1313 gilt heute nur noch im traditionsbewussten Franken! Nur so kann der vom Stadtrat für seine Wurst festgesetzte sagenhafte BEFFE-Wert (der für die Fleischqualität entscheidende Gradmesser) von 12 % eingehalten werden.
Bleibt die Frage, warum die Wörschdla so klaa san. Angefangen mit den Schlüssellochgeschichten gibt es dazu zahllose Legenden. Lassen wir sie heut beiseit und nähern uns dem Kern: Allem Grossen gegenüber ist der Franke skeptisch (F. Kusz). Dem Nürnberger eignet Klasse statt Masse und Qualität statt Quantität. Die Stadt liebt die Diminutive, mit deren Hilfe sie ihr – keineswegs geringes – Selbstbewusstsein überdecken kann. Sie hat deshalb schon im 17. Jahrhundert den Wettstreit um die größte Bratwurst aufgegeben (mit einer unguten Reprise 1934) und begnügt sich seither mit dem kleinsten niedlichen Ding, nicht grösser als ein Gedankenstrich, aber unnachahmlich lecker (Grashauser/Schäffer). Und dies hat dazu geführt, dass nirgends auf der Welt sich eine Stadt so mit ihrer Bratwurst und eine Bratwurst so mit ihrer Stadt identifiziert hat wie in Nürnberg.
Autor: Dr. Hartmut Frommer, 1. Vorsitzender des Schutzverbandes Nürnberger Bratwürste e.V. und Stadtrechtsdirektor der Stadt Nürnberg a.D.